Historie Programm für die Sicherheit
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Enorm hohe Zahlen an Unfalltoten im Straßenverkehr führten Anfang der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts zur Entwicklung einiger Experimentier-Sicherheitsfahrzeuge. Viele der damals erprobten Elemente haben in ähnlicher Form später Einzug in die Serie gehalten.

Insgesamt 21.332 Verkehrstote in einem Jahr: Das war laut Deutschem Verkehrssicherheitsrat die traurige Bilanz in Deutschland im Jahr 1970 (zum Vergleich: 2021 gab es 2.562 Verkehrstote). In anderen hochentwickelten Industrieländern sah es zu dieser Zeit kaum anders aus. Der Straßenverkehr nahm immer stärker zu. Zwischen 1960 und 1970 verdoppelte sich beispielsweise der Pkw-Bestand auf Deutschlands Straßen auf 14 Millionen.
Die Sicherheits- und Straßenverkehrsvorschriften entwickelten sich jedoch deutlich langsamer. Das sorgte weltweit für enorm hohe Zahlen an Unfalltoten und führte in den USA sowie in Europa zur Entwicklung von deutlich anspruchsvolleren Sicherheitsstandards für Pkws und Straßen. Außerdem initiierten die Amerikaner ein internationales Programm von Experimental-Sicherheitsfahrzeugen (ESV), von denen einige vor 50 Jahren auf verschiedenen Konferenzen und Messen präsentiert wurden. Viele waren noch zu groß, zu schwer und zu teuer für eine Serienproduktion. Sie lieferten aber zumindest neue Konzepte und Elemente.
Die ESV-Fahrzeuge sollten zum Beispiel einen frontalen Wandaufprall mit 80 km/h so überstehen, dass die auf jedem Platz im Fahrzeug platzierten Dummys nicht von eindringenden Fahrzeugteilen beschädigt wurden. Sie mussten sich außerdem ohne Beschädigungen aus dem Fahrzeug entfernen lassen.
Karosserie-Sicherheitsstruktur von Volkswagen
Eines der ersten europäischen ESV zeigte Volkswagen 1972 auf dem Genfer Automobilsalon. Der „Experimental Safety Volkswagen" (ESVW I) erfüllte laut Werksangaben nicht nur sämtliche US-Sicherheitsauflagen, sondern soll auch voll alltagstauglich gewesen sein. Herzstück der 4,73 Meter langen Limousine war eine hochfeste, aus drei Zonen bestehende Karosserie-Sicherheitsstruktur.
Die Türen hatten zudem einen damals noch unüblichen Seitenaufprallschutz. Im Innenraum trugen ein vollautomatisches Gurtsystem mit Gurtstraffern, Schulter- und Kniegurte sowie spezielle Sicherheitssitze zusätzlich zur Passagiersicherheit bei. Ein Mehrgewicht von rund 600 kg gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen sowie ein Preisaufschlag von etwa 30 Prozent, der damals für die Sicherheitsausstattung fällig gewesen wäre, haben allerdings dazu geführt, dass der Wagen doch nicht bis zur Serienreife entwickelt wurde.
Ebenfalls auf dem Genfer Automobilsalon zeigte Volvo sein VESC (Volvo Experimental Safety Car). Auch dieses hatte eine steife Sicherheitskarosserie sowie vordere Sicherheitsgurte, die sich beim Motorstart automatisch anlegten bzw. automatisch aufrollten, wenn der Fahrer den Motor abstellte und das Fahrzeug verließ. Ergänzend bot der VESC Fahrer- und Beifahrerairbags sowie in die Hutablage integrierte Airbags für die Fondpassagiere.
Neu im Fond waren zudem Sicherheits-Kopfstützen. In die Frontsitze integrierten die Schweden außerdem Kopfstützen, die sich bei einem Unfall automatisch aufstellten. Schutz bei einer Frontalkollision sollte zudem der tief installierte Motor bieten, der sich beim Aufprall unter die Fahrgastzelle schob, während die vorgespannte Lenksäule um 15 Zentimeter nach vorne sprang, also weg vom Fahrer.
Kleinere Kollisionen mit Geschwindigkeiten von bis zu 16 km/h steckte der VESC ohne bleibende Verformungen an der Karosserie weg. Dafür sorgten 18 Zentimeter dicke Teleskopstoßstangen. Auch ein heute alltägliches Assistenzsystem hatte der Volvo an Bord: Eine Rückfahrkamera mit Röhren-Monitor im Cockpit erleichterte und sicherte Rangiervorgänge. Aber auch er kam, wie der ESVW I, auf ein Leergewicht von damals stolzen rund 1.450 kg.
Der Transpo 72 von Mercedes
Im Mai 1972 stellte dann Mercedes auf der Fachmesse „Transpo 72“ in Washington, D.C. das Experimental-Sicherheits-Fahrzeug ESF 13 vor. Neben ABS und Halogenscheinwerfern sowie einer Wisch-Waschanlage für Frontscheinwerfer und Frontscheibe hatte der Wagen einen sehr ungewöhnlichen Parallelwischer für die Heckscheibe.
Um die passive Sicherheit für Fahrzeuginsassen und Fußgänger zu verbessern, verkleideten die Entwickler verschiedene Bauteile mit geschäumten Komponenten oder legten sie nachgiebig aus. Auf den Vordersitzen gab es Dreipunktsicherheitsgurte mit Gurtkraftbegrenzern, die sich beim Türschließen automatisch anlegen.
Ein Sicherheitslenkrad mit Pralltopf ergänzten Fahrer- und Beifahrerairbags sowie weitere Airbags für die Fondpassagiere. Im Fond gab es zudem Dreipunktsicherheitsgurte mit Gurtkraftbegrenzer und Aufrollautomatik. Während Fahrer- und Beifahrersitze über Kopfstützen verfügten, übernahm diese Aufgabe im Fond ein Auffangnetz. Diese Ausstattung führt zu einem Leergewicht von stolzen 2.100 kg.
Zum 1. Januar 1974 schrieb der Gesetzgeber in Deutschland dann übrigens für neu zugelassene Pkws die Ausrüstung mit Sicherheitsgurten auf den Vordersitzen vor. Erst zum 1. Januar 1976 kam die allgemeine Anschnallpflicht auf Pkw-Vordersitzen.
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