Aufmerksamkeitsassistenten Allzeit bereit
Ablenkung und Müdigkeit beim Autofahren können Menschenleben kosten. Deshalb gehören Warnsysteme künftig zur Pflichtausstattung eines Autos. Der ADAC hat verschiedene Aufmerksamkeitsassistenten getestet.

Müdigkeit und Ablenkung sind beim Autofahren oft der Grund für schwere Verkehrsunfälle. So weist das Statistische Bundesamt für das Jahr 2021 allein 1.507 Unfälle mit Personenschaden aus, bei denen die Autofahrer übermüdet waren.
Das ist allerdings nur ein Teil solcher Unfälle, denn die Dunkelziffer ist nach Einschätzung von Experten deutlich höher. Müdigkeit als Unfallursache wird nämlich nur dann erfasst, wenn die Fahrer das bei der polizeilichen Befragung nach dem Unfall selbst zu Protokoll gegeben haben. Daher gibt es auch keine zuverlässige Statistik für Unfälle nach Ablenkungen, da kaum ein Fahrer dies nach einem Unfall zugeben würde. Nach Analysen des ADAC spielen bei rund zehn Prozent der schweren Verkehrsunfälle außerorts Übermüdung, Ablenkung oder ein gesundheitliches Problem des Fahrers eine wesentliche Rolle.
Um die Zahl solcher Unfälle zu verringern, hat der europäische Gesetzgeber Anfang 2020 die General Safety Regulation 2 (GSR 2) erlassen. Diese Verordnung regelt die verpflichtende Ausstattung von Fahrzeugsicherheitssystemen für die Typgenehmigung. So schreibt die GSR im ersten Schritt verpflichtend einen Müdigkeitswarner vor: Seit dem 6. Juli 2022 müssen alle neuen Pkw und Lkw für die Typgenehmigung über ein Warnsystem verfügen, das die Müdigkeit des Fahrers bewertet. Dies gilt ab Juli 2024 für alle neu zugelassenen Fahrzeuge.
In einem zweiten Schritt müssen die Fahrzeuge ab Juli 2024 bzw. 2026 mit einem System ausgestattet werden, das auch einen abgelenkten Fahrer erkennen kann.
Direkt und indirekt
Viele Autohersteller statten ihre Modelle bereits seit einigen Jahren mit Müdigkeitswarnern aus. Allerdings sind das bisher meist indirekte Systeme, die abhängig von verschiedenen Parametern wie Lenkverhalten, Geschwindigkeit und Fahrzeit die Fahrtauglichkeit des Fahrers einschätzen. Ganz einfache Systeme warnen den Fahrer lediglich nach Ablauf einer bestimmten Fahrzeit.
Um einen müden oder abgelenkten Fahrer sicher erkennen zu können, braucht man dagegen direkte Systeme. Diese können mithilfe von Sensoren wie Infrarotkameras wirklich beobachten, in welche Richtung jemand schaut, ob seine Augen geschlossen sind und welche eventuell ablenkenden Handbewegungen die Person gerade macht.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was künftige sogenannte In-Cabin-Sensing-Systeme (ICS) leisten können, hat der ADAC vier Prototypen genauer unter die Lupe genommen. Die Tester waren mit deren Leistungsfähigkeit durchaus zufrieden: Die Systeme von Bosch, Ford und DTS/SPERI sind in der Lage, einen müden, abgelenkten oder gesundheitlich beeinträchtigten Fahrer zu erkennen und rechtzeitig zu warnen. Schwächen zeigten sich laut ADAC nur, wenn bestimmte Teile des Gesichtes (z. B. durch lange Haare) verdeckt waren oder wenn Objekte wie ein Mobiltelefon, die zu Ablenkung führten, nicht mehr vom Sensor erfasst werden konnten.
Automatisiertes Fahren
Das System von Sony verbessert zudem mithilfe eines Sensors, der ein 3D-Tiefenbild erzeugt, die passive Fahrzeugsicherheit. Das Tiefenbild ermöglicht es dem ICS beispielsweise, das Volumen und den Winkel des Oberkörpers eines Insassen zu erkennen. Außerdem kann es den Abstand zwischen Kopf und Lenkrad oder eine „Out-of-Position“-Sitzhaltung detektieren. Mit diesen Informationen lassen sich dann die Rückhaltesysteme an die spezifischen Eigenschaften der Insassen und deren Sitzposition anpassen. So soll jeder Insasse bei einem Unfall individuell und bestmöglich geschützt werden.
Damit eignen sich ICS perspektivisch auch für das automatisierte Fahren auf SAE-Level 3, bei dem Autofahrer die Fahraufgabe in bestimmten Situationen vollständig an ein Assistenzsystem abgeben können. Sie müssen dann das Verkehrsgeschehen auch nicht mehr beobachten. Allerdings müssen sie sich bereithalten, nach Aufforderung das Steuer unverzüglich wieder zu übernehmen, sobald die elektronischen Systeme an ihre Grenzen kommen. Das ICS kann dabei erkennen, ob der Fahrer wieder bereit ist, das Fahrzeug sicher zu führen.
Für den ADAC sind folgende Punkte für die Weiterentwicklung des In-Cabin-Sensing entscheidend:
- In-Cabin-Sensing-Systeme sollten den Fahrer bei Müdigkeit, Ablenkung und gesundheitlichen Problemen nicht nur warnen. Sie sollten mit Fahrerassistenzsystemen verknüpft werden, sodass die Elektronik eine Kollision aktiv
vermeiden oder ein Minimum-Risk-Manöver einleiten kann.
- Die Rate der Fehlauslösungen sollte möglichst gering sein, um die Akzeptanz des Fahrers in die Systeme zu erhöhen.
- Die Daten der Nutzer sollten nicht ohne deren Einwilligung im Fahrzeug gespeichert und lediglich dazu verwendet werden, sicherheitsrelevante Systemfunktionen auszuführen.
- Eine optimale Ausnutzung des Potenzials von In-Cabin-Sensing-Systemen lässt sich erreichen, wenn diese Systeme alle Bereiche der Fahrzeugsicherheit vor, während und nach dem Crash abdecken können.
(ID:49035139)