Serie: Ehemalige Konzeptfahrzeuge Die Natur als Vorbild

Von Edgar Schmidt Lesedauer: 3 min |

Ihre Vorstellungen von neuartigem Automobildesign zeigen die Hersteller gerne mithilfe von Studien. Dabei entstand manch skurriles Gefährt. In ­lockerer Folge stellen wir hier solche vor. Diesmal widmen wir uns der Marke Mercedes-Benz.

Mit dem Bionic Car wollte Mercedes zeigen, welche Konstruktionsprinzipien der Natur sich auch in die Fahrzeugkonstruktion übernehmen lassen.
Mit dem Bionic Car wollte Mercedes zeigen, welche Konstruktionsprinzipien der Natur sich auch in die Fahrzeugkonstruktion übernehmen lassen.
(Bild: Mercedes-Benz)

Immer wieder präsentieren Automobilhersteller aufregende Designstudien, um damit auf Automessen auf sich aufmerksam zu machen. Die Entwickler und Designer nutzen diese Arbeiten gern dazu, um ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues zu wagen, um ihrer Kreativität ohne jegliche Zwänge freien Lauf zu lassen. Auch probieren sie mit solchen Studien gerne neue Konstruktionsprinzipien aus. Dieser Forschungsansatz ist oft der Grund dafür, dass diese Studien nach der Präsentation relativ schnell wieder in den Archiven der Hersteller verschwinden. Denn selten ist geplant, eine solche Studie wirklich zur Serienreife zu bringen.

So war es auch, als sich die Entwickler bei Mercedes-Benz 2005 ein ungewöhnliches Tier für die Entwicklung einer Fahrzeugstudie zum Vorbild nahmen: den Kofferfisch. Dieser Fisch ist in tropischen Gewässern heimisch und wirkt eher plump als dynamisch und kraftvoll. Doch der Kofferfisch hat andere, sehr beeindruckende Eigenschaften. Er hat beispielsweise trotz seines kantigen, würfelähnlichen Rumpfes hervorragende Strömungseigenschaften und stellt deshalb ein aerodynamisches Ideal dar. Mit einem originalgetreuen Modellnachbau des Kofferfisches erzielten die Ingenieure im Windkanal beispielsweise einen Luftwiderstandsbeiwert von nur cW = 0,06. Zum Vergleich: Die Anfang 2022 extrem auf gute Aerodynamik getrimmte Mercedes-Studie Vision EQXX hat einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,17, ein serienmäßiger EQE liegt bei 0,22.

Den sagenhaft guten Wert des Fischmodells konnten die Entwickler aber selbst bei der „Bionic Car“ genannten Studie nicht erreichen. Ein erstes Automodell im Maßstab 1:4, dessen Form weitgehend dem Kofferfisch entsprach, hatte aber immerhin einen Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,095. Der voll funktionstüchtige, fahrbereite Kompaktwagen mit einer Länge von 4,24 Metern kam dann auf einen guten cW-Wert von 0,19 und zählte damit zu den damals strömungsgünstigsten Automobilen dieser Größenklasse. Neben der grundsätzlichen Karosserieform trugen auch bündige Türgriffe, die beim Berühren mittels Elektromotor ausklappten, sowie Kameras als Rückspiegel zu dem guten Wert bei – und damit Ausstattungselemente, die es inzwischen bei einigen Autos in die Ausstattungslisten geschafft haben.

So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Aber nicht nur beim Design, sondern auch bei der Karosseriekonstruktion nahmen sich die Entwickler die Natur zum Vorbild. Denn das Ziel dieser Fahrzeugstudie war, zu untersuchen, welches Potenzial die Bionik (Kombination von Biologie und Technik) für die Automobilentwicklung bietet, um Autos strömungsgünstiger, leichter und damit sparsamer zu machen. Deshalb entwickelten die Ingenieure gemeinsam mit Bionik-Experten ein rechnergestütztes Verfahren, mit dem sich das Wachstumsprinzip der Natur – Material nur dort einzusetzen, wo es nötig ist – auf die Automobiltechnik übertragen lässt. Dabei wurden Karosserie- und Fahrwerkkomponenten mittels Computersimulation so berechnet, dass der Werkstoff an Bereichen mit geringer Belastung dünner gestaltet und teilweise sogar völlig weggelassen werden konnte. Hoch beanspruchte Stellen wurden dagegen gezielt verstärkt. Laut Mercedes konnte man die Karosserie dadurch um rund 30 Prozent leichter machen als bei einem vergleichbaren Fahrzeug mit herkömmlich konstruierter Karosserie. Stabilität, Crashsicherheit und Fahrdynamik sollten trotzdem unverändert gut bleiben.

Als Antrieb nutzen die Mercedes-­Entwickler den damals modernsten Turbodiesel mit Common-Rail-Direkteinspritzung (103 kW/140 PS). Dessen Abgase wurden mit der bei Pkw damals noch unüblichen SCR-Technik (Selective Catalytic Reduction) sowie mit einem Rußpartikelfilter gereinigt. So ausgestattet verbrauchte das Konzeptfahrzeug im zu dem Zeitpunkt gültigen EU-Fahrzyklus 4,3 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer. Nach Angaben von Mercedes waren das 20 Prozent weniger als bei einem vergleichbaren Serienmodell.

Das Bionic Car zeigt, dass Fahrzeugstudien hilfreich sein können, wenn darin erprobte Elemente für die Serie wirklich sinnvoll sind. Dass nicht jedes eindrucksvolle Design in die Serienproduktion übernommen wird, ist zwar bei mancher Studie schade, trägt aber durchaus zur Verkehrssicherheit bei. Das Bionic Car zeigt aber auch, dass nicht jede Form, die in der Natur nützlich ist, bei den Kunden als attraktives Design ankommt.

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